Präsentation von Tristan Thielmann auf dem Workshop „Landmedien im 20. Jahrhundert“,
Villa Lessing/Saarbrücken, 19./20. Oktober 2017
Die lokale Erkundung des ländlichen Raums ist in den USA zum Ende des 19. Jahrhunderts eng mit einer neuen Form der Mobilität verbunden, die durch das Fahrrad ermöglicht wurde. Die ersten Road Maps, die US-amerikanische Ruralität in großem Maßstab abbildeten, waren Fahrradkarten: Karten, die von Fahrradfahrern für Fahrradfahrer konzipiert wurden (vgl. Ristow 1946; Reid 2014). Deren räumliche Abbildung beruhte nicht auf einer Stadt-Land-Differenzen, sondern vielmehr auf einer medialen Repräsentation verschiedener Straßenknotenpunkte, von denen ausgehend sich die Peripherie erfahren ließ.
Die Herstellung von Ruralität ist demnach an die infrastrukturellen und medialen Bedingungen von Straßen und Straßenführern als einem „collaborative manufacture“ (Crang 1994) gebunden, das seinen Ausgangspunkt in der Entdeckung des Fahrrads als kartierendes und infrastrukturierendes Instrument nimmt (vgl. Shaler 1896).
In Europa konnte das „Bicycle Mapping“ Ende des 19. Jahrhunderts auf topographische Basiskarten großer Skalierung zurückgreifen, die im Rahmen amtlicher Landesvermessung erstellt wurden. In den USA hingegen gab es keine vergleichbare geodätische Grundlage (vgl. Akerman 2006). Die Initiative zur Kartierung von Straßen entstand hier durch lokale „Cycling Clubs“, die sich 1880 zur League of American Wheelman (LAW) zusammenschlossen.
Hierbei handelt es sich um eine Allianz heterogener Akteure (Farmer-Organisationen, Fahrradhändlern/-produzenten, Bauunternehmern, Zeitungsverlegern, Postvertretern etc.), die aus unterschiedlichen Motiven an der Erzeugung eines gemeinsamen „infrastrukturellen Grenzobjekts“ (Star 2017) interessiert waren. Die League of American Wheelman bildete ein Akteur-Netzwerk, das bis heute als prototypisch für die Schaffung von „use-environments“ (Burr 2014) gilt.
Vor der Erfindung und Popularisierung des Fahrrads gab es in den USA keine Notwendigkeit für befestigte Straßen (vgl. Hugill 1982). Die League of American Wheelman gründete sich mit dem Ziel, öffentliche Straßen zu verbessern und ihren Mitgliedern hierzu verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Dazu zählten insbesondere Anleitungen zur Erstellung von Straßenkarten.
Ziel des Vortrags ist es, die in Vergessenheit geratene Geschichte der Fahrradkarte praxeologisch neu zu untermauern. Von wenigstens 1885 bis 1902 wurden eine Reihe von Road Books kollaborativ erstellt und als Taschenbuchausgabe kostenlos an die LAW-Mitglieder vertrieben. Road Book Committees sammelten, koordinierten und kompilierten hierzu lokale Informationen über die Straßenzustände und entwarfen (Routen-)Karten auf der Basis der gesammelten „travel logs“ einzelner Fahrradfahrer (vgl. Smith 1972).
Anhand der Mediengeschichte US-amerikanischer Routenführer kann gezeigt werden, wie das Medium der Fahrradkarte Ruralität produziert und repräsentiert und dabei zugleich als infrastrukturelle Bedingung für die Handlungsmacht eines Netzwerks von lokalen Akteuren diente, die Ende des 19. Jahrhunderts Landpolitik und Landmedien stark geprägt haben.